Headset-Technologie! Verlernen wir die non-verbale Kommunikation im Team? Bremst uns offener Funk im Team?

1999 – mein Schiristern sollte dort anfangen zu leuchten, auch wenn ich damals überhaupt keine Ahnung hatte, wo meine Reise hingehen würde. Was hatte man früher als Schiedsrichter?: eine Pfeife, seine Karten und das gelernte Regelwissen. Es gab niemanden mit Smartphones, die das Spiel filmten, es gab noch kein Videocoaching bei Mannschaften (bei Schiedsrichtern erst recht nicht) und an eine Headset-Kommunikation im Team der Offiziellen war noch lange nicht zu denken. Wie also auf dem Platz kommunizieren, wenn der Kollege auch mal gut und gerne 50m oder mehr weit weg steht. Man kann ja nicht ständig das Spiel unterbrechen, zum Kollegen rennen und nachfragen. Man lernte also durch Lehrgänge, Gespräche mit bereits erfahrenen Kollegen, sich vor dem Spiel intensiv vorzubereiten, zu besprechen, auszutauschen und viele Situationen, die passieren könnten, bereits im Kopf durchzugehen, um dann auf einer einheitlichen Linie zu sein. Am wichtigsten war aber die Absprache untereinander: wie kann ich meinem Gegenüber non-verbal deutlich machen, dass ich jetzt Hilfe brauche. Einerseits mussten wir im Team ein Verständnis dafür entwickeln, in welchen Szenen könnte es passieren, dass mein Kollege, obwohl er zuständig für die Szene ist, auf mich angewiesen ist, damit ich als Unzuständiger nicht genau in diesem Moment meine gedankliche Auszeit nehme. Andererseits mussten wir lernen, die Hilfe als „Sender“ per Mimik anzufordern und dementsprechend als „Empfänger“ der non-verbalen Kommunikation richtig aufzufassen. Das ist gar nicht so leicht, wie sich in den ersten Jahren der Schiedsrichterei herausstellen sollte. Und sind wir mal ehrlich: Wer hat sich denn am Anfang Gedanken darüber gemacht, wie wirkt man eigentlich auf dem Platz als Sender? Oder hat von euch, die das hier lesen, schon mal jemand aktiv einen „Frage sendenden Gesichtsausdruck“ geübt? Ich habe mir zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine Gedanken über Mimik, Gestik, Körpersprache gemacht, geschweige denn gewusst, wie man sowas hätte üben und trainieren sollen. Es hat bei mir bis zu meinen ersten internationalen Einsätzen und das Kennenlernen meines internationalen Förderers/Mentors gedauert, bis der ganz normale Spiegel im Zimmer ein alltägliches Trainingsutensil von mir wurde. Denn wenn man in seinen Reports von Länderspielen drinstehen hatte „Bodylanguage as a typical german policeman“, dann musst du etwas ändern, denn wer will schon auf dem Platz wirken wie der Polizist (nichts gegen Polizisten, gerade weil ein Polizist dies hier veröffentlicht *zwinker*) anstelle eines Spielleiters und Schiedsrichters. Step 1 war also einerseits sich bei Spielen von Freunden und Bekannten filmen lassen bzw. sich das später aufkommende Filmmaterial der Mannschaften zu besorgen, in der Hoffnung man war ab und an zu sehen und somit seine Körpersprache zu analysieren, andererseits zuhause am Spiegel Gestik, Mimik und Körpersprache aktiv zu üben.

Im internationalen Bereich kam ich dann jedoch sehr schnell in Berührung mit der Headset-Kommunikation insbesondere bei den großen Turnieren, da hier auch der Videoschiedsrichter und Videobeweis zum Einsatz kam. Es verlagerte sich nun alles auf die verbale Kommunikation mit dem Kollegen auf dem Platz und vor dem TV-Bildschirm in der „Box“, wie wir den Ort des Videoschiedsrichters nennen (Pendant zum „Kölner Keller“). Man musste kein fragendes Gesicht mehr zeigen, denn die Frage „Have you seen anything?“ war schnell gestellt, ebenso schnell beantwortet und das Problem gelöst (oder eben auch nicht). Im Hockey ist es allerdings so, dass die Headset-Kommunikation in den meisten Fällen von der TV-Crew gestellt wird und der Schiedsrichter-Sound ein Teil der gesamten Übertragung wird. Wir sind also nicht nur beim Videobeweis-Prozess zu hören, die Kommentatoren hören uns die ganze Zeit, können also den Zuschauer durchaus in unserer Entscheidungsfindung und Erklärungen an einzelne Spieler mitnehmen oder aber das TV findet es so spannend, dass die Kommentatoren runter- und wir Schiedsrichter in der Lautstärke für den TV-Zuschauer hochgeregelt werden. Hieß plötzlich für mich als Neuling: ich muss aufpassen, was ich sage. Neuer Stresspunkt, der in die mentale Vorbereitung mitaufgenommen werden musste. Einerseits kann jeder sprachliche Fehler im Englischen von allen gehört werden, andererseits wusste ich, wenn ich als Schiedsrichter eine hitzige Diskussion mit Spielern führe, freut sich das TV und es geht weltweit online. Hieß also für mich, du musst dich ab sofort zurücknehmen, die verbale Kommunikation auf ein Minimum beschränken und nur die einfachen Dinge sagen. Die Hemmung vor dem Gebrauch der englischen Sprache – gerade als non native speaker gegenüber einem native speaker – war sehr groß und den meisten Nationen war man sprachlich unterlegen. Hieß für mich: zurück zum Englischunterricht da die Schule einen nicht wirklich auf eine hitzige Hockeyspiel-Diskussion vorbereitet hatte. Und ich verlor zu Anfang leider ein Schiedsrichter-Management-Tool: das der verbalen Kommunikation. Habe ich im Anfang meiner Karriere gerne genauso „aus dem Wald geschrien, wie es in den Wald hineinschallte“, musste ich mich nun – gerade als Neuling – deutlich zurücknehmen. Bedeutete aber auch, es gab mehr Karten von mir wegen Gemecker, da ich dem Spieler meinen Frust über vermissenden Respekt nicht verbal deutlich ins Gesicht sagen konnte und ich ihn eben kurz auf die Strafbank schickte.

Im Laufe der Zeit, in der die Livestreams den Weg ins World-Wide-Web fanden, und mit den Vorbildern der internationalen Turniere kamen auch Vereine innerhalb Deutschlands auf die Idee, es sei cool, die Schiedsrichter zu verkabeln. Für mich als Internationalen war das nun nichts Neues mehr und ich wusste, was auf mich zukam. Viele meiner Kollegen, die damit bisher nie in Berührung kamen, standen plötzlich vor einer Herausforderung. Viele lehnten die Verkabelung sogar proaktiv ab, da sie einerseits nicht wollten, dass man hört, was man im Team während des Spiels bespricht und andererseits sie die Kommunikation mit den Spielern nicht ändern wollten. 

Meine persönliche Meinung ist, dass ich es sehr gut finde, wenn Kommentatoren die Kommunikation mitbekommen, da sie für den Zuschauer Transparenz entwickeln können, wieso weshalb gerade so und nicht anders entschieden wurde. Während Spieler in der Konversation mit dem Schiedsrichter die Entscheidung erklärt bekommen und dann für den Moment akzeptieren, hat jeder vor dem TV-Bild eine eigene Meinung. Wenn nun aber die Kommentatoren relativ neutral gestützt durch das Mitbekommen der On-Field Kommunikation die Situation kommentieren, kann so etwas viel Brisanz am TV rausnehmen. Natürlich wird es weiterhin dabei bleiben, dass jeder es besser weiß, jedoch kann die Transparenz zu mehr Akzeptanz führen. Andererseits bekommen auch die TV-Zuschauer einmal mit, wie mit einem Schiedsrichter umgegangen wird und was wir uns auf dem Platz Woche für Woche anhören müssen. Schon oft gab es über diverse Kanäle Rückfragen an mich, wieso ich mir das antue, wieso ich da nicht ständig die gelbe Karte zeige und und und. Da wird erst einmal das Bewusstsein für Außenstehende geschaffen, mit was wir Wochenende für Wochenende zu kämpfen haben. Aber es gibt auch Leute, die anfangen ihr Verhalten zu reflektieren und feststellen, sie sind als Unbeteiligte und/oder Zuschauer nicht anders.

Was aber, wenn im Schiedsrichtergespann das Gefühl aufkommt, die Spielleitung läuft heute nicht so wie gewünscht? Oder Plan A, den man sich vor dem Spiel zurechtgelegt hat, funktioniert gar nicht und man muss schnellstmöglich zu Plan B? Oder die Kollegin/der Kollege hat einen schlechten Tag und ich muss jemanden wachrütteln? Ist man nun gehemmt vom offenen Funk oder traut man sich offen anzusprechen, dass gerade etwas völlig schiefläuft, obwohl man weiß, jeder kann nun zuhören? Ich habe selber als Beobachter von Bundesligaschiedsrichtern erlebt, dass sie nach einem eklatanten Fehler nicht offen und ehrlich diesen sofort besprochen haben, sondern lange 12 Minuten auf die Pause gewartet haben, bis das Mikrofon ausgeschaltet werden konnte um den Fehler dann anzusprechen. Das wäre in jeder Mannschaft undenkbar. Oder glaubt ihr ein Hansi Flick wartet auf die Halbzeit, dass xy endlich seinen Gegenspieler decken soll? Nein, das wird sofort quer über den Platz geschrien, für alle sicht- und hörbar, denn der Erfolg bzw. vermeidbare Misserfolg steht im Vordergrund und nicht das Bild, was man eventuell nach außen abgibt.

Ich habe also für mich entscheiden müssen, was ist besser? Nach außen gut zu wirken, der sprachlich keine Fehler macht, nie mal laut wird und immer ruhig ist oder ist es besser, dem Spiel etwas Gutes zu tun, Spieler mit einer verbalen Kommunikation auf dem Platz zu halten, anstatt ständig eine Mannschaft in Unterzahl spielen zu lassen? Ist es für mich selber besser meinem gestressten Puls einmal Luft zu machen, weil ich einen Spieler lauter anschreie, als er es tat, ihn damit aber auf dem Platz halte. Ich ihm zeige, so geht es nicht, und vor allem mich wieder runterhole und eine konzentrierte Leistung fortführen kann? Für mich war die Spielleitung wichtiger zum Wohle des Sports und des Spiels, denn das ist, was Spieler wollen. Die interessiert es nicht, wie ich im Livestream wirke. Die wollen einen Schiri, mit dem sie auch mal sprechen eventuell auch mal kurzweilig streiten können, ohne Angst zu haben, der sagt gar nichts, sondern zieht gleich die Karte. Und auch sage ich jedem meiner Kollegen, der mit mir pfeift und zum ersten Mal mit offenem Funk für das TV aufläuft, dass er keine Hemmung haben soll, etwas zu sagen, wenn etwas nicht passt. Ich werde auch nicht mit Kritik zurückhalten, wenn wir etwas ändern müssen. Und ein Spleen von mir ist, dass, wenn ich selber merke, es läuft bei mir nicht, ich eventuell mal das Selbstgespräch suche, um wieder die Konzentration zu finden oder mich wieder zu pushen, so wie man es von Tennisspielern kennt. „Hast du da eben leck mich am A**** gesagt“, erreichte mich kürzlich eine Nachricht direkt nach einem Bundesligaspiel. Ja habe ich. Ich habe im Spiel aber über meine Wortwahl gar nicht nachgedacht. Nur in dieser Szene bin ich dermaßen überlaufen worden, dass es mich unglaublich geärgert hat, dies nicht kommen gesehen zu haben und so ist es einfach aus mir rausgeplatzt um eventuell noch zwei bis drei Prozent mehr aus mir beim Vollsprint rauszuholen, damit ich für die zu treffende Entscheidung wenigsten versuche ein wenig näher dran zu sein. Ich denke also über das Mikrofon, was irgendwo an mir hängt, nicht mehr nach. Ich verstelle mich nicht, sondern bleibe eben authentisch so wie es eben in der Situation aus mir heraussprudelt. Der eine mag es, der andere nicht. Das wäre aber umgekehrt genauso und jedem recht machen kann man es eh nicht. 

Mittlerweile kann ich sagen: Headset-Technologie ist super, um schnell mit dem Kollegen Dinge zu besprechen. Allerdings nur, wenn sie einen nicht beeinflusst in was und wann man sagt. Das muss man einfach trainieren auszublenden. Sobald es einen hemmt oder beeinflusst, hat die Technologie eher einen negativen als positiven Effekt. Zudem muss man immer damit rechnen, dass Technik auch versagen kann und man somit nie die non-verbale Kommunikation verlernen sollte. Gerade im Hockey ist es hilfreich, wenn man den Kollegen nicht nur verbal bei der Entscheidung unterstützt, sondern auch gleichzeitig mit einer großen Zeichengebung hilft. Wir nennen das arena-umpiring, denn die verbale Kommunikation bekommt nur der Kollege mit (ist die Kommunikation ans TV gekoppelt auch der Kommentator und die Zuschauer am TV), aber weder die Spieler auf dem Platz, noch die Trainer an der Bank oder Zuschauer am Platz/im Stadion/in der Halle wissen, warum nun ein Schiedsrichter entscheidet, obwohl er offensichtlich nichts gesehen hat. Zeigt der Kollege aber auf der anderen Seite unterstützend an, was zu entscheiden ist, dann hilft das für das allgemeine Verständnis enorm. Viele junge, aufstrebende Talente vergessen aber oft gerne, dass sie mitanzeigen sollten, denn für sie ist ja der Job mit der Ansage über das Headset getan. Daher mache ich es mir gerne zur Aufgabe, gerade mit jungen Kollegen in unteren Ligen, die erste Halbzeit ohne Headset zu pfeifen, damit sie die Basics nie verlernen und immer wieder neu trainieren, bevor dann in der zweiten Halbzeit die Technologie dazukommt.

Meine 5 wichtigsten Tipps für die Arbeit mit Headsets

1. Weniger ist mehr

Zunächst einmal ist die Verwendung von Funkgeräten kein Telefonanruf. Weniger ist mehr. Konzentriere dich darauf, wann und was zu sagen ist. Wenn man die ganze Zeit redet, kann der Kollege gestört werden. Schließlich ist man kein Kommentator auf dem Platz. Es gehen beim Reden immer ein paar Prozentpunkte der Konzentration verloren.

 2. Triff eine schnelle Entscheidung

Sei dir bewusst, was du sagst. Verwende einfache Wörter oder kurze Informationen. Erzähl keine Geschichte. Spieler wollen schnell eine Entscheidung, unser Sport braucht schnelle Entscheidungen.

Nehmt euch also während des Gesprächs vor dem Spiel Zeit und besprecht, welche Informationen ihr euch untereinander mitteilen möchtet und in welcher Situation ein kurzes Gespräch erforderlich ist.

3. Coaching

Besonders für ein Schiedsrichterteam, das aus einem erfahrenen und einem unerfahrenen besteht: Der erfahrene Schiedsrichter kann coachen und bei der Verwendung der Funkgeräte helfen. Aber noch einmal: Überfordere niemanden. Sprich vor Spielbeginn mit dem Kollegen, ob er/sie Coaching während des Spiels wünscht. Manchmal kann es die Leistung beeinflussen. Man kann schnell den Fokus verlieren, während man dem Kollegen zuhört. Aber es kann hilfreich sein, wenn man während des Spiels Tipps bekommt, wie man Spieler/Situationen besser managen kann, damit man nicht die Kontrolle über das Spiel verliert.

4. Headsets machen dich nicht zu einem besseren Schiedsrichter

Denkt dran: Ein Funkgerät zu haben, bedeutet nicht gleich, ein besserer Schiedsrichter zu sein. Es ist ein weiteres Tool, das hilft als Team zusammenzuarbeiten. Du bist immer noch dieselbe Person mit einem weiteren Tool, um ein Spiel zu leiten. Verwende es mit Bedacht – gib nicht an.

5. Verkaufe die richtige Entscheidung

Vergiss die Grundlagen nicht. Pfeifton, Pfeiftiming, Körpersprache, Mimik, Gestik, Zeichengebung. Nur der Kollege kann dich über Funk hören. Kein Spieler, kein Trainer, keine Zuschauer – aber sie sind die wichtigen Menschen, die verstehen müssen, was du tust. Die Verwendung eines Funkgeräts hilft dir, im Gespann/Team schnell die richtige Entscheidung zu treffen – aber um allen anderen die richtige Entscheidung zu verkaufen, benötigst du die grundlegenden Dinge.