Digitalisierung Fluch oder Segen 

Wie sich unser Leben als Schiedsrichter dadurch verändert hat.

Als ich angefangen habe zu spielen, gab es keine Aufnahmen von unseren Spielen. Basketball selbst gab es in meiner Heimatstadt auch nicht im Fernsehen, weshalb für mich Themen wie Bundesliga oder internationales Business überhaupt keine Präsenz hatten. Als ich mit 23 in die Förderprogramme des Deutschen Basketball Bundes aufgenommen wurde schlugen bei mir das erste mal Themen wie „filme dich selbst um zu sehen wie du wirkst“ oder „deine Laufwege stimmen nicht“ auf. Es gab tatsächlich Kollegen, die mit einer Videokamera in die Halle kamen und sich haben filmen lassen. Kontinuierliche Aufnahmen von Spielen und Übertragungen gab es nur in der ersten Bundesliga im Pay TV. Als ich dann in die 3. Bundesliga aufgestiegen bin wurde auch dort gerade eingeführt, dass alle Spiele gefilmt werden müssen. Für ein gewisses Entgelt konnten wir Schiedsrichter dann eine DVD von unserem Spiel kaufen um es uns anzusehen. 

Ich werde nicht vergessen, als ich mich dann das erste Mal auf Video gesehen habe. Ich war schockiert. Meine Kleidung zu groß, meine Körperhaltung ohne Spannung und Ausdruck, meine Handzeichen als Schiedsrichter schlecht, generell meine Bewegungsabläufe und vieles mehr einfach nicht gut. 

Ich bestellte mir also alle meine Spiele und wenn ich von einem anderen interessanten Spiel gehört hatte, bestellte ich auch dieses, um es zu sehen. Ich bemerkte, wie Dinge, die mich beim Videogucken störten, mir automatisch bei den nächsten Spielen in gleichen Momenten in den Kopf schossen und ich es korrigierte. Ich hatte plötzlich Vergleichsmöglichkeiten und konnte selbst eine Veränderung bzw. Verbesserung bei mir feststellen.

Ich konnte allerdings auch anhand der Videos, je nach Qualität der Aufnahmen, feststellen wie schlecht eigentlich meine Qualität der Entscheidungen war. Fortan begleitete mich also das Videostudium aller Spiele. Mit der Zeit wurden die Anbieter besser und je höher man kam in den Ligen um so besser wurden auch die Möglichkeiten. Inzwischen werden in Deutschland alle Spiele der 1. Bundesliga auf Magentasport in HD übertragen, die Spiele der 2. und 3. Bundesliga Herren, sowie die Spiele der 1. Bundesliga Damen werden live im Internet gestreamt. Dies war vor 10 Jahren noch undenkbar. 

Diese Entwicklung stellt sich für uns Schiedsrichter als Fluch und als Segen zugleich dar.

Der Fluch.

Früher wurden nur vereinzelt (besondere) Spiele im Free TV oder im Internet gezeigt. Schiedsrichter haben vereinzelt VHS-Kassetten erhalten wenn Sie glück hatten, aber dies zum Teil auch erst eins zwei Wochen nach dem Spiel. Also zählte in der Regel der Eindruck, den man in der Halle gewonnen hatte. Die Videoarbeit war für die Schiedsrichter selbst nicht das erste Mittel der Wahl, sondern Spiele live zu schauen, oder aus eigenen Erfahrungen und vom Feedback untereinander und durch Schiedsrichter Coaches zu lernen. 

Heutzutage ist es so, da jedes Spiel in Deutschland aus den Bundesligen live und on Demand in HD zu sehen ist. Auch die Spiele der Euroleague, des 7days Eurocup, der Basketball Championsleague und die Wettbewerbe der anderen Länder sind inzwischen für jedermann zugänglich.

Für uns als Schiedsrichter heißt es, dass jedes Spiel unter der Lupe liegt. Jeder weiß sofort wann und welchen Fehler die Schiedsrichter gemacht haben, selbst wenn es evtl. in der Halle noch niemand weiß, die Zuschauer zu Hause wissen es. 

Ich erinnere mich noch an mein Waterloo spiel. Wir haben ca. 2 Minuten vor Ende des Spiels einen gravierenden Fehler gemacht. Als wir die Halle verließen waren wir gut drauf, da wir überzeugt waren ein wirklich gutes Spiel abgeliefert zu haben. Als wir in die Kabine kamen nahmen wir wie gewohnt unsere Handys zur Hand. Ich hatte 28 Nachrichten und in jeder stand fast das gleiche „Hey Glückwunsch, gutes Spiel, aber warum habt ihr …..? Das war doch falsch.“ Und wir wussten, wir haben einen richtig großen Fehler gemacht. Mir wurde schlecht und die Stimmung schlug sofort um. Jeder von uns wusste, dass die Saison für uns vorbei war. Wir haben geduscht und sind alle heimgefahren. Das Spiel musste wiederholt werden. Ich habe es mir unzählige Male auf Video angesehen und habe nicht verstanden wie dieser Fehler passieren konnte. Wir waren uns so sicher. Auch Millionen von Menschen hatten diesen Clip innerhalb von Sekunden gesehen. Als wir aus der Halle rausgegangen sind gab es bereits unzählige Einträge und Mitschnitte auf Youtube. In den Socialen Medien wurde ich wochenlang attackiert und beschimpft. In ganz Deutschland hatte jeder den Tag danach über dieses Spiel gesprochen. Auch Leute, die nichts mit Basketball zu tun hatten, hatten bereits davon gehört. Ich musste ein paar Tage später auf eine Internationale Schiedsrichterweiterbildung und auch hier, hatte es schon jeder gesehen. 

Es gibt Situationen in den Spielen, wo Slomos auf dem Videowürfel gespielt werden von Situationen, die gerade entschieden wurden. Wir können dies nicht sehen, aber die Zuschauer in der Halle. 

Man könnte sagen es war früher einfacher Fehler zu verbergen. Heute geht es darum, wer hat ihn zuerst entdeckt. 

Natürlich werden Gelegenheiten genutzt und Clips von Spielen an die Ligav geschickt. Aber ich habe noch keinen Clip gesehen, wo ausschließlich gute Aktionen von den Schiedsrichtern zusammengestellt wurden.

Ich erinnere mich an meine erste Euroleague Saison. Zum Ende der Saison habe ich eine Statistik und einen „Film“ über meine Entscheidungen aus der vergangenen Saison bekommen. Mein anfängliches Gefühl über eine gute Saison wurde sehr schnell relativiert und ich war überrascht über die Vielzahl nicht so optimaler Entscheidungen. Dies weckte meinen Ehrgeiz und ich wollte es besser machen.

Diese Entwicklung der digitalen Medien und der Möglichkeiten erhöht natürlich den Druck auf die Schiedsrichter. Denn jeder noch so kleine Fehler und ist es „nur“, dass die Uhr für 3 Sekunden im laufenden Spiel Stand (was in einem knappen Spiel noch mind. 1-2 Angriffe bedeuten kann) wird sofort erkannt. Entsprechend steigen die Erwartungen, Anforderungen und Herausforderungen an uns kontinuierlich. Neben der Tatsache, dass das Spiel immer schneller und Athletischer wird entwickeln sich auch die Übertragungstechnologien mit HD, super slomotion und mehrere Kamerawinkeln rasant und kontinuierlich immer weiter. 

Zusätzlich haben die sozialen Medien an Bedeutung gewonnen. Dienen diese doch heutzutage zum Marketing, zum Socializing und zur Meinungsbildung. Neben der Fassade des www ist es einfacher seine Meinung in der Welt publik zu machen oder auch einzelne Menschen persönlich zu attackieren. Von „geh zurück, wo du hingehörst, in die Schaufenster mit den roten Lichtern“, „ich hoffe, du hast einen Autounfall auf deiner Heimreise“ bis hin zu „wenn du noch einmal unser Land betrittst, bist du…“ habe ich bereits alles an Nachrichten erhalten.

Die Bedeutet eine neue Form von Druck und mentaler Stärke, die die Schiedsrichter heute mitbringen müssen. Besonders für junge Schiedsrichter ist dies eine neue Herausforderung.

So sehr dies einen selbst eventuell enttäuscht, verletzt und unter Druck setzt so sehr hilft es uns auch besser zu werden.

Der Segen.

Wie bereits erwähnt, war es für Schiedsrichter früher schwer eine Aufnahme vom eigenen Spiel zu erhalten. Entsprechend war man auf ehrliches Feedback angewiesen und die eigene Wahrnehmung. 

Heutzutage ist es für uns normal jedes Spiel vorzubereiten und nachzubereiten. Das heißt, in Vorbereitung auf das nächste Spiel schauen wir mind. das jeweils letzte Spiel der beteiligten Teams. Wenn möglich schauen wir auch in die nationalen Ligen. Wir scouten die Teams. Keyplayer (Shooter oder eher Perimeter, links oder rechtshänder, Set Plays, Defense, Stärken und Schwächen der Teams) Daraus wissen wir, worauf wir uns einstellen müssen, was gegebenenfalls die Plays sind, auf die wir achten müssen, welcher Gameplan ergibt sich für den Gegner und vieles mehr. Nach dem Spiel schauen wir uns natürlich jedes Spiel noch einmal an. Welches Plays wurden richtig entschieden, welche nicht, warum (falsche Position, falscher Fokus, Konzentrationsmangel), wie war die Kommunikation und und und. Nach dem Spiel werden Clips geschnitten und diskutiert. Zusätzlich erhalten wir ein wöchentliches Videofeedback und müssen unter anderem regelmäßige Videotests absolvieren. All dies nicht „nur“ für die internationalen Spiele, sondern auch noch einmal für die nationalen.

Hieraus ergibt sich enormer Benefit, wodurch uns die Digitalisierung in der kontinuierlichen Verbesserung sehr weiterhilft.

Durch die Möglichkeit der unzähligen Videoclips zu allen möglichen Spielsituationen können wir unser Auge schulen und trainieren. Gleichzeitig ist es möglich in der Woche eine Vielzahl von Spielen zu sehen ohne das man vor Ort sein muss. Man kann durch Fehler von anderen lernen. Wir sagen immer wir können unsere Schubladen füllen und wenn wir selbst mit einer entsprechenden Situation konfrontiert werden, die entsprechende Schublade öffnen und die Lösung hervorholen.

Wir können durch die Möglichkeit des On Demand in einzelne Viertel gezielt reinschauen und müssen nicht immer die gesamten Spiele sehen. Es gibt Programme, durch die inzwischen auch ein Scouting der Schiedsrichter für die Ligen wesentlich einfacher ist.

Allein im Bereich Kommunikation hilft die Videoarbeit uns Schiedsrichtern enorm. Wir analysieren die Körpersprache von uns und unserem Gegenüber. Besprechen Mimik und Außenwirkung mit Polizei- und Sportpsychologen und können uns durch all diesen Input kontinuierlich verbessern.

In der Aus- Fort und Weiterbildung der Schiedsrichter sind viele Tools gar nicht mehr wegzudenken. Regeltests können heutzutage in kurzen Intervallen durchgeführt werden. Gleiches gilt für die Videotests. Ich kann in meinem Recruitingprogramm in Deutschland alle Schiedsrichter, die in meinem Programm sind, jederzeit sehen, da alle Spiele online verfügbar sind. Entsprechend kann ich mit meinem Team ein viel breiteres Spektrum an Förderung anbieten. Wie können Schiedsrichter gezielt weiterbringen und Fördern und dies von unterwegs.

So sehr soziale Medien Menschen in Ihrer Persönlichkeit verletzen können, so sehr können sie auch helfen und positives Feedback weitergeben. Von „Du hast mich inspiriert nicht mit dem Pfeifen aufzuhören“, über „ich als Coach, freue mich immer, wenn du die Halle betrittst, denn da weiß ich was ich bekomme“ bis hin zu „könnte ich ein Autogramm bekommen“. Es gibt unzählige Positivmeldungen, die mir auch damals nach meinem Waterloospiel geholfen haben auf den Court zurück zu kehren.

Ich habe durch den Basketball Menschen über den Globus verteilt kennengelernt und kann über die sozialen Medien mit Ihnen Kontakt halten. Meine Familie kann mich sehen, auch wenn ich nicht da bin, ob es Videotelefonie ist, ob es die Spiele live im Fernsehen sind und vieles mehr sind natürlich Punkte, die mir meine Arbeit auch ein Stück weit erleichtern.

So kann man sagen, dass die Digitalisierung für uns Schiedsrichter Fluch und Segen zugleich ist.

Vor einigen Jahren wurde auf Grund der Schnelllebigkeit, der Digitalisierung und der Möglichkeiten das Instant Review System eingeführt. Dies gibt uns die Möglichkeit in entscheidenden (aber ausgewählten und durch die Regeln beschriebene) Situationen das Video zu Rate zu ziehen. 

Auch diese Einführung bedeutet für uns Fluch und Segen zugleich. Hätte ich in meinem Waterloo Spiel diese Möglichkeit gehabt, wäre es nie zu diesem Fehler gekommen. Entsprechend hilft es uns gravierende Fehler, die spielentscheidend sind zu verifizieren und gegebenenfalls zu korrigieren, aber der Review muss durch die Regeln abgedeckt sein, das Prozedere muss eingehalten werden und das Videobild muss eine klare Auflösung geben. Ich habe Spiele erlebt, wo wir zwar anhand des Videos richtige Entscheidungen gefällt haben, aber der Review durch die Regeln nicht abgedeckt war. Dies zieht für uns mitunter eine Strafe nach sich. Ich habe Spiele gesehen, wo Schiedsrichter das IRS korrekt eingesetzt haben, aber die Entscheidung am Ende nicht korrekt war. Zudem konnten wir beobachten, dass es manchmal auch dazu führte, dass Schiedsrichter nicht mehr so entscheidungsfreudig waren und das IRS als stetiges Backup genutzt haben, was das Spiel für den Zuschauer mitunter unattraktiv macht. Also neben der Erweiterung der Regeln, welche auch nicht global einheitlich sind und wir entsprechend zwischen den Ligen differenzieren müssen hat sich gleichzeitig der Druck erhöht, dass wir natürlich nur, wenn notwendig dieses Tool nutzen sollten und dann eben auch so kurz wie möglich.  

Also auch hier kann man sagen, dass dank der Digitalisierung ein großartiges Tool integriert werden konnte, welches unseres Jobs in bestimmten Situationen erschweren, aber auch um ein vielfaches erleichtern kann. Ich möchte das IRS nicht missen, aber es fordert zusätzliche Disziplin von uns und wir müssen uns immer noch vor Auge halten, dass im ersten Schritt immer noch die Entscheidung des Schiedsrichters auf dem Feld zählt, denn es kann immer sein, dass gerade der Fall nicht durch die Regeln abgedeckt ist oder das Videobild keine Auflösung gibt. Erstaunlich ist aber, dass man beobachten je, dass wenn die Emotionen auf dem Feld explodieren und alle nervös sind und die Schiedsrichter gehen zum Instant Review System, alle Spielbeteiligten regelrecht entspannen und dieses System eine höhere Glaubwürdigkeit hat, als der Schiedsrichter, der vielleicht gerade, die korrekte Entscheidung gefällt hat und diese durch das System bestätigt wurde.